Vorsitzender: Dr. Andreae (Kaiserslautern).
Schriftführer: Dr. Offner (München).
Von Dr. Edward Westermarck, Helsingfors (Finnland).
Diejenigen, welche die Ethik als eine Normwissenschaft betrachten, setzen voraus, dass ein solches oberstes Princip da ist. In diesem Punkte stimmen die theologische Ethik, der Intuitionismns, der egoistische Hedonisnms und der Utilitarismus mit einander überein. Die theologischen Moralphilosophen finden, dieses erste Princip in einer Urkunde gegeben, welche der göttlichen Autorität zugeschrieben wird; diejenigen aber, welche die Ethik auf natürliche — keine übernatürliche — Grundlage basirt wissen wollen, müssen Geschichte und Ethnographie, Gesetzbücher und religiöse Urkunden, Poesie und Kunst, sowie auch ihre eigenen Reehtsbegriffe und diejenigen der Zeitgenossen auf's Genaueste durchforschen, um die Einsicht zu erwerben, welche Grundeigenschaft dem sittlichen Bewusstsein als solchem, unabhängig von zufälligen Umständen, wie Rasse, Geschlecht, Bildungsstufe u. s. w.. zukommen mag. Wenn dabei ein überall wiederkehrendes Sittengesetz angetroffen wird, mag man ihm dieselbe objective Giltigkeit zuschreiben, welche den Satzungen der Logik auf Grund ihrer Selbstevidenz zukommt; wo nicht, muss die Hoffnung auf den Aufbau einer ethischen Normwissenschaft aufgegeben werden. Die Pfleger der Ethik sind leider nicht mit solcher Sorgfältigkeit zu Werke gegangen. Trotz der Mannigfaltigkeit der Moralsysteme ist noch keine ethische Theorie aufgestellt worden, die auf einer genügend umfassenden Unterlage von Thatsachen geruht hätte, und selbst die Möglichkeit einer normativen Wissenschaft ist noch immer unbewiesen.
Der Referent ist seit mehreren Jahren damit beschäftigt, zu erforschen, was Menschen von verschiedenen Rassen zu verschiedenen Zeiten für sittlich und unsittlich gehalten haben, um dadurch womöglich eine generelle Auaffssung von dem Ursprung und der Natur des sittlichen Bewusstseins zu gewinnen. Obgleich die Abschliessung dieser Untersuchung noch einige Jahre in Anspruch nehmen wird, glaubt Referent jetzt schon die Behauptung riskiren zu können, dass die Uebereinstimmung, welche zwischen den Rechtsbegriffen der verschiedenen Individuen und Völker sich findet, hauptsächlich nur formeller Natur ist, und darum nicht geeignet, als oberstes Princip einer normativen Ethik
Dr. Riess (München): Nicht alle bisherige Ethik war normativ. Die Thatsache der „Relativität der ethischen Wertungen" war schon dem griechischen Alterthum bekannt. Nach einem i n h a l t l i c h e n Kriterium der Sittlichkeit sucht bereits Kant nicht mehr. Die Enthnologie der Sitten verdient am wenigsten den Namen „psychologischer" Ethik im Gegensätze zu einer anderen Ethik, sie liefert dieser nur das Material. Die wissenschaftliche Ethik beginnt erst, wo diese aufhört und kann ihre eigenen Probleme (Theorie der Werthe, Freiheit des Willens etc.) mit einem relativ geringen Material angreifen.
Normativ kann überhaupt eine Wissenschaft nur sein, wenn sie ein Ziel hat, wie z. B. die Hygiene die Erhaltung der körperlichen Gesundheit. Ethik als „seelische Hygiene" für unmöglich zu erklären, ist unberechtigt.
Dr. Eisenhaus (Riedlingen): Anknüpfend an eine Bemerkung des letzten Herrn Eedners möchte ich die psychologische Ethik in Schutznehmen. Die nicht-normative Ethik heisst mit Eecht eine psychologische, weil ihr Gegenstand, das sittliche Bewusstsein, eine psychische Thatsache ist. Wenn deshalb Herr Dr. Westermarck der normativen Ethik eine psychologische gegenüberstellt, so schliesse ich mich dem durchaus an, nur mit stärkerer Betonung eines von ihm weniger scharf hervorgehobenen Gesichtspunktes. Ausschlaggebend ist der Begriff der Norm. Ist das, Gesetz, im gewöhnlichen Sinn eine einfache Verallgemeinung von Thatsachen, so unterscheidet sich die Norm von demselben nur dadurch, dass sie als ein Befehl oder als eine Forderung an einen W i l l e n der ihr entsprechen soll, herantritt. Die Norm wendet sich also nicht an das Verständniss, sondern an den Willen des einzelnen und führt darum zu einer Technik und nicht zu einer Wissenschaft, sie ist nicht auf den Begriff der Wahrheit, auf welchem die Wissenschaft ruht, sondern auf den der Zweckmässigkeit und Freiheit gegründet. Für die Wissenschaft als solche gibt es keine Norm, kein Sollen, keine Kunstlehre, sondern nur Thatsachen, Gesetze, Hypothesen — dies gilt auch für die Logik. Und dies ist ein Punkt, in welchem ich Dr. Wester-
marck nicht beistimmen kann. Er sagte, die Sätze der Logik seien selbstverständlich, haben Anspruch auf unbedingte Gültigkeit. Dem gegenüber ist festzustellen, dass in dieser Beziehung die Logik kaum irgend besser daran ist, als die Ethik. Nicht einmal über die einfachsten Gesetze der Logik ist unter den Gelehrten der Gegenwart allgemeines Einverständnis vorhanden. Für die Logik wie für die Ethik gilt das Gesetz der Relativität. Für beide muss behauptet werden, dass sie einer Allgemeingiltigkeit sich erst da nähern, wo gewisse Bedingungen dazu vorhanden sind. Die geistige Entwicklung gleicht darin der organischen, dass sie Abnormitäten aufweist, w o d i e E n t w i c k l u n g s b e d i n g u n g e n f e h l e n o d e r a b n o r m s i n d. Als Hauptfaktoren der Entwicklung des sittlichen Bewusstseins betrachte ich die Intelligenz und das, soziale Leben. Vielleicht ist es mir noch zum Schluss verstattet, darauf hinzuweisen, dass ich dieses Programm einer psychologischen Ethik in meinem Werk über Wesen und Entstehung des Gewissens (eine Psychologie der Ethik, Leipzig 1894) eingehender entwickelt habe.
Dr. C. S. Schiller (Cornell Univ. U. S.A.): Die Frage: Wie entwickeln sich die normativen Wissenschaften aus dem psychologischen Thatbestand? betrifft nicht nur die Ethik sondern auch die Logik und die Aesthetik, und es genügt nicht, einfach zu sagen, es gibt nichts objektiv ethisches (resp. logisches oder ästhetisches). Der Versuch lässt sich wohl machen, nicht aber durchführen. Ueberdies gibt Dr. Westermarck eine gewisse formelle Uebereinstimmung zwischen den ethischen Urtheilen verschiedener Personen zu. Warum sollte das denn nicht für die Formulirung eines „objectiven" Sittengesetzes genügen? Denn der Inhalt eines solchen muss begreiflicher Weise sich nach den Zeitverhältnissen sund Lebensbedingungen richten und mit deren Veränderung sich ändern. Dagegen würde eine Formulirung des „richtigen" Handelns als „das dem obersten Zwecke gemässes Handeln" so ziemlich allen den Meinungsverschiedenheiten über die höchsten Zwecke und über die Methoden, dieselben zu erreichen, entsprechen und die inhaltlichen Unterschiede der ethischen Urtheile erklärlich zu machen. Aber freilich steht darum doch noch die Originalfrage nach dem Wege, auf dem die Berechtigung des Normativen anerkannt wird.
Dr. Westermarck (Helsingfors): Against the first Speaker Ref. stated that, according to his opinion the object of Ethics was „das Herausfinden der Gesetze, denen die ethische Abschätzung der Handlungen thatsächlich folgt", thus not only to collect facts. In opposition to the last Speaker Ref. thinks that „die formelle Uebereinstimmung" between moral ideas is not sufficient to serve as base for a „normative Ethik".