Die Kunst als Rauschmittel

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1923
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Särtryck från V Congresso Internazionale di Filosofia, Napoli 1924.

Inskanning & transkribering Filosofia.fi 2007.

 ROLF LAGERBORG
 



Die Kunst als Rauschmittel

 



Estratto

dagli Atti del V Congresso Internazionale di Filosofia

promosso dalla Società Filosofico Italiana

pel Settimo Centenario della R. Università di Napoli

5-9 maggio 1924

 



SOCIETA ANONIMA EDITRICE FRANCESCO PERRELLA

Napoli - Genova - Città di Castello


 



Tipi Sangiovanni - Napoli

 

Dass Tanz und Musik bei primitiven Völkern als Rauschmittel dienen, darauf ist oft schon hingeweisen worden. Aber dass die Kunst überhaupt, wo sie ihre völlige Wirkung erzielt, ihrem Wesen nach, einem Rauschmittel gleichkommt, das ist dem Forschern erst aufgegangen, dank der modernistischen Kunst. Müller-Freienfels durfte von den ersten gewesen sein, die den Gedanken aufgeworfen; aber schon von den ersten Anfängen des genannten Modernismus keimt bei den Kritikern diese Auslegung, allerding vorerst ironisch. So schrieb Jules Lemâitre über Paul Verlaine: "Comprenez-vous?... Ni moi non plus. Il faut être ivre pour comprendre". Das Streben Verlaines ging ja darauf aus, dass die Dichtkunst nichts als Musik sein solle: "de la la musique et rien que de la musique". Nunmehr sind derartige Anforderungen auch an die Bildkunst gerichtet worden. Gemälde sollen genossen werden, wie man Musik geniesst; der Künstler ziele nicht nur auf eine diskrete Gemütswirkung nach dem guten Worte Amiels: "un tableau, c´est un état d’âme", sondern direkt auf Gemütserschütterung, Rausch, Ekstase - das Herausfinden des Inhalts (oder dessen Hineininterpretieren) überlässt man dem Belieben des Zuschauers. Der Orient, besonders die Chinesen, sind z. B. von Keyserling, als Urheber dieser Art Bildkunst bezeichnet worden: es gebe keine tiefere, keine seelenvollere Kunst als die der chinesischen Maler. Der Professor Sirén in Stockholm, der dieser asiatischen Malerei jahrelange Reisen und grosse Bücher widmete, erklärt, dass die chinesischen Maler die Möglichkeit bewiesen habe, das Geistige durch das Emotionelle gleich frei zum Ausdruck zu bringen, wie es bei uns der

 

 


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Musik gelingt. Auch soll das chinesische Publikum die Malerei geniessen verstehen, mehr in der Art wie wir der Musik, als wie wir der Bildkunst gegenüberstehen. "Falls wir", schreibt der gennante Sirén, "uns die Werke der alten Meister des Orients ohne Vorurteil aneigen wollen, so müssen wir unsere Vorstellungen von dem Zweck und den Mitteln der Kunst erheblich erweitern. Es könnte sein, dass wir nebenbei eine vertiefte Auffassung vom Wesen der Kunst insgesamt gewinnen".

Es ergibt sich, dass die chinesischen Meister auf das Traum - und Rauschhafte abzielen. Die Natur wird zur Unnatur verdreht; Pflanzen und Tiere, die niemand gesehen, Ungeheuer, die Schreck einflössen, werden hervorgezaubert, allerdings rhytmisch und suggestiv, aber verzerrt und phantastisch: eine Welt, die sich zur wirklichen verhält, wie die bunten und flüchtigen Spiegelungen in den Seifenblasen der Kinder. Um den Rausch der Inspiration zu erzielen, zogen die Künstler, erzählt Sirén, in einsame Arbeitshäuschen, wo sie allerhand Weihrauch einatmeten oder sich mit Getränken berauschten; oder sie liessen sich als Eremiten in wüstliche Gegenden nieder, die buddhistische Ekstase abwartend - bis ihnen mit dem Gemütsrausch die künstlerische Vision, der Blick ins Unendliche zuteil geworden war.

Dass der europäische Modernismus auf ähnliches ausgeht, liegt offen zu Tage. Die Ekstase ist Malern wie Dichtern das worauf es ankommt, wie selten auch das Publikum ihrer visionären Verklärung teilhaftig wird. Immerhin kommt etwas traumhaftes oft aus den Bildern heraus; um Naturtreue ist es den Künstlern schon lange nicht mehr zu tun. Wer sich dagegen sträubt, wird z. B. daran erinnert, wie Kinder ihre Bilder erleben; mit ihnen sind sie gleich weg von der Wirklichkeit, sie dichten sich ins Märchenreich, ins Schlaraffenland ihrer Sehnsucht. Und das wäre, was auch die Erwachsenen im tiefsten Grunde ersehnen; das zu Ahnende und zu Ergänzende wäre den Leuten viel lieber als das nüchtern Exakte. Es mag sein; aber anstatt das Ideale im Zauberspiegel der Kunst zu zeigen, verlangen diese Ultraromantiker, das Ekstatische, seltsam Erregende, Betäubende und Berauschende. Was uns die Kunst gewähren solle , verkündet der neulich nobelpreisgekrönte irische Dichter Yeats (und was nach ihm die Kunst uns bietet, das bringt uns, wie gleich ersichtlich, auf körperlichem Wege ein Schwipschen) - was die Kunst als Höchstes bringe, sei nicht nur Befreiung vom kampf ums Leben,

 

 



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vom Alltag und vom Selbst, nicht nur Erhebung zum Feierlichen, sondern Trunkenheit des Empfindens, das Entrücktwerden der Ekstase.

Tatsächlich trifft diese Auslegung die Ziele des Modernismus. - Aber war nicht Trunkenheit allezeit das Endziel des Kunstgenusses? Rhytmus und Reim und Farben und Formen, was wären sie mehr denn ein Sinnenreiz, falls sie uns nicht berauschten? Das Werk wird zur Kunst nur falls es einen packt; was wir am Kunstwerk loben, ist eben dessen Gefühlswirkung. Diese, der Schönheitseindruck, das Hingerissenwerden, entsteht durch die Rückwirkung auf die Hirnrinde von Reflexen in unseren Eingeweiden, am auffälligsten erleben wir es in der Musik und der Dichtkunst, wo die vom Rhytmus erzeugten Reflexe in Gefühlsstimmung ausmünden. Seit einigen Jahren ist es erwiesen, dass Stimmungen und Gemütsbewegungen von Drüsensekreten noch wesentlicher als vom Vasomotorium abhängen. Die Wirkung der inneren Sekretion auf das gesamte Gemütsleben hat schon eine Sonderdisziplin, die Psychoserologie, hervorgerufen; namhafte Forscher widmen sich ihr. So Professor Galedius in Stockholm, Professor G. Dumas in Paris, der eben diesen Winter darüber gelesen hat; Professor Asher in Bern hat schon sogar ein Lehrbuch der Psychologie der inneren Sekretion verfasst. Die Ergebnisse dieser Forschung bestätigen die uralte Auffassung, dass Launen, Gefühle und Leidenschaften von den Säften des Organismus, von Stoffen im Blute abhängen, die in der Art der Giftstoffe uns beängstigen oder berauschen. Dass von jeher Sprache und Volksmund die Affekte als Rauschzustände betrachten, die mit Blutvergiftung einhergehen, bezeugen manche Redensarten und Wörter wie Liebesrausch, Wonnenrausch, Siegesrausch u. a. Was Goethe von der Jugend gesagt hat, sie sei Trunkenheit ohne Wein, ist auch hierherzuzählen - und gewiss stimmt der satz noch besser auf Verzückung durch die Kunst. Diese Verzückung als einen Rausch zu bezeichnen, ist keineswegs eine Metapher; vielmehr erklärt diese Gleichsetzung den physiologischen Verlauf des Hochgenusses der Kunstprodukte.

Besonders, wo das Kunstgeniessen in die Ekstase gipfelt, liegt ausgesprochen ein Rauschzustand vor. Nie war aber die Kunst auf Nüchternheit eingestellt; immer, und wäre es nur mit einem Ornamentstreifen, wollte sie über den Alltag ein Traumlicht ergiessen, uns darüber erheben. Das Gemüt wird durch die Kunst erwärmt und erweitert: das vegetative System, poetisch "Herz" genannt, übernimmt für die Zeit des

 

 


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Berauschtseins die Leitung des Ichs. Die Kunst eröffnet die Seelen; das Wort in vino veritas passt auch auf den Rausch der Kunst. Die Erhebung, die wir dabei erleben, ist eine gelinde Selbstvergiftung, analog dem Ueberschwange des schwärmerisch Verliebten: auch er sieht die Welt wie im Traume, im Lichte des Idealen, der ewigen höheren Werte; auch bei ihm ein berauschtes Empfinden, das den Sinn für das Wirkliche narkotisiert und den Sieg davonträgt über das nüchtern Vernünftige.

Den Gipfelpunkt des Kunstgenusses als einen Rausch zu bezeichnen, könnte vielen vorerst als eine Herabwürdigung erscheinen. Aber auch wer die Kunst nicht als Rauschmittel anerkennt, des verpönten Ausdrucks wegen, würde doch selber den Stab brechen über nüchterne Liebe oder nüchterne Religion oder nüchterne Kunst: hier kommt gewiss allen das Nüchterne vor wie Sünde gegen den Heiligen Geist. Verständigt man sich dagegen damit, die Kunst als ein Rauschmittel zu betrachten, so zeigt es sich; dass die Kunst uns zwar einen Rausch vermittelt, aber einen der das Leben veredelt und sich nicht mit Qualen rächt. Ohne eine solche Stimulanz der Säfte verwekelt der innere Mensch; die Kunst schenkt Neigungen Nahrung, die im wirklichen Dasein verkümmern würden, weil sie wenig befriedigt werden. Die Sehnsucht, das verscheuchte tiefere Selbst, wird dabei belebt und befreit. Aber nur wie im Traume treten die Leidenschaften an der Hand der Kunst hervor: als Erinnerung, als Hoffnung, als Beispiel, als Warnung; falls uns der Rausch dieser Leidenschaften mehr denn im Spiel ergriffe, würden wir durch und durch vergiftet werden. - Auch das Problem, das von Kunstphilosophen, so den Professoren Hirn und Meumann, als das schwierigste und meist debattierte der Kunstpsychologie bezeichnet wird, nämlich wovon es abhängt, dass Kunst überhaupt zustande kommt und vom Publikum begehrt wird; und ferner die Frage vom Selbstzweck der Kunst: wie das autotelische Schaffen, das also auf keinen Nutzen abzielt, entstehen und sich entwickeln kann, wo doch der Kampf ums Dasein so wenig dem Unnützen Platz macht - auch diese Rätsel werden enthüllt, falls wir einwilligen, die Kunst als Rauschmittel zu erklären. Denn dass die Menschen den Ernst des Lebens über dem Rausch vernachlässigen, dass die meisten die Lust des beseligenden Rausches jedwedem Nutzen vorziehen, braucht offenbar keines Beweises.

Allerdings könnte man einwenden, dass der besagte Erklärungs-

 

 

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grund viel zu viel umfasse. Wer in jeder Gefühlserregung schon etwas dem Rausche verwandtes erblickt, in dessen Augen berauschen sich die Menschen immerfort, und nicht nur mit Kunst, sondern womit es auch sei: mit allem was einen eifrig macht. Das Rauschverlangen wäre demnach nicht nur in der Kunst zu spüren, und wäre entsprechend nichtssagend als Erklärungsprinzip des Kunsttriebes. - Dieser Einwand übersieht aber den Kernpunkt der Frage: weshalb die Kunst zum Selbstzweck geworden ist. Alles andere, das die Gefühle erregt, ist zugleich vom praktischen Lebenswert, das Berauschende dabei ist ein Nebeneffekt. In der Kunst ist der Rausch aber Hauptzweck. Was Dichter und Künstler praktisch erfassen und Byron unsterblich ausgesprochen hat: "The best of life is but intoxication" - das bestätigt für die Kunst die serologische Psychologie. Nur die Kunst teilt mit exogenen Räuschen die Schmach (vom Standpunkt des nüchternen Nutzens aus) ein weltfremder und passiver Selbstgenuss zu sein. Als Kennzeichen des Aesthetischen wurde von jeher angegeben, dass dabei jedes andere Streben wegfalle als eben das nach dem Schönen. Allein des wonnigen Geniessens wegen begehrt man also die Kunst wie den Rausch. Und somit erklärt sich zur Genüge, wie die Kunst zu Ehren gekommen ist, den Anforderungen des Nutzens zum Trotz, öfters zumal als Protest gegen die Not des Daseins: nämlich wie es gerade die Rauschmittel angestrebt werden.

 

 



SOCIETÀ EDITRICE


FRANCESCO PERRELLA

NAPOLI - CITTÀ DI CASTELLO - GENOVA



 



 



 



 

In corso di stampa:


 


 




Atti del V Congresso Internazionale



di Filosofia



 




promosso dalla Società Filosofica



Italiana pel VII Centenario della



R. Università di Napoli



5-9 maggio 1924



 



 




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